Spinalkanalstenose

Bei der Spinalkanalstenose kommt es zur Engerstellung des Wirbelkanals, in welchem in der Hals- und Brustwirbelsäule das Rückenmark und in der Lendenwirbelsäule die Nervenfasern verlaufen. Zusätzlich kann sich das Loch, aus dem der Nerv die WS verlässt, einengen.

Bei einer Einengung der Halswirbelsäule kann, neben Schmerzen im Nacken mit evt. Ausstrahlung in die Arme, auch ein neurologisches Defizit auftreten. Dabei kann es zu einer Schwäche im Arm-/Handbereich oder einer Rückenmarksproblematik mit Gangunsicherheit bzw. Koordinationsstörungen bis hin zur Querschnittslähmung kommen.

Bei einer Einengung der Lendenwirbelsäule können Schmerzen im Rückenbereich mit evt. Ausstrahlung in die Beine zutage treten. Typischerweise kommt es zur „Schaufensterkrankheit“, bei der die Betroffenen nur kurz Gehen können, dann nach einer kurzen Gehstrecke die Symptomatik eintritt und der Betroffene Stehen oder Sitzen bleiben muss – damit der Schmerz nachlässt und der Betroffene wieder kurz symptomfrei weitergehen kann.

Neurologisch kann eine Schwäche im Bein-/Fußbereich sowie eine Blasen-Darmlähmung auftreten.

Bei einem neurologischen Ausfall sollte sofort operiert werden, bei Schmerzen ohne Ausfallserscheinungen dann, wenn eine Therapie über 12 bis 16 Wochen nicht hilft.

2.5 Spinalkanalstenose

Bestehende Leitlinien/Guidelines

Leitlinie „Lumbale Spinalkanalstenose“ der DGOOC und des BVO, 2002 Leitlinie „lumbale Spinalkanalstenose“ der DGNC, 2005

„Evidence-based Clinical Guidelines for Multidisciplinary Spine Care” der North American Spine Society (NASS), 2011 revised

Spinalkanalstenose/Enger Spinalkanal/Rezessusstenose

M48.06 Spinalkanalstenose, lumbal
M99.33 knöcherne Stenose des Spinalkanals, lumbal
M48.06+ Claudicatio spinalis bei lumbaler Spinalkanalstenose M99.43 Bindegewebige Stenose des Spinalkanals, lumbal
M99.53 Stenose des Spinalkanals durch Bandscheibe, lumbal M55.3* Nervenwurzelkompression bei lumbaler Spinalkanalstenose

Spinalkanalstenose beschreibt eine anatomische Einengung des Spinalkanals mit vermindertem Raum für Nerven und Gefäße. Klassifiziert werden kann sie nach Etiologie (primär = angeboren versus sekundär = erworben), nach Ausmaß (relativ: 10-12 mm AP-Durchmesser, absolut: <10 mm AP-Durchmesser) oder anatomisch (zentral, peripher, foraminal) [59, 60]. Die degenerative Spinalkanalstenose ist die häufigste, klinisch relevante Form und Thema dieses Kapitels.

Das daraus entstehende klinische Syndrom ist die neurogene Claudicatio. Der Begriff wurde von Dejerine [61] geprägt. Die initiale Definition stammt von van Gelderen [62], später von Verbiest [63]. In seinem Report beschreibt van Gelderen die neurogene Claudicatio als „umschriebene, discoligamentäre Einengung des Spinalkanals verbunden mit einem Komplex von klinischen Zeichen und Symptome bestehend aus Rückenschmerzen und belastungsabhängigen Symptomen in den Beinen (Claudicatio)“ [62].

Die jährliche Inzidenz der lumbalen Spinalkanalstenose wird mit 5 pro 100.000 Einwohner angegeben und ist somit vier Mal höher als die Inzidenz der zervikalen Spinalkanalstenose [59]. Verlässliche aktuelle Zahlen für Deutschland existieren nicht. Im Krankenhaus-Report 2013, in dem Daten von 25 Mio. AOK- Versicherten in Deutschland veröffentlicht wurden (entspricht 35 % der gesetzlich Versicherten), wurde der Operationen- und Prozeduren-Schlüssel (OPS)-Code für knöcherne Dekompression des Spinalkanals im Jahre 2010 fast 30.000 mal verschlüsselt, was im Vergleich zu 2005 eine deutliche Steigerung bedeutet. Dies scheint unter anderem ein erhöhtes Bedürfnis nach Mobilität und Flexibilität bis ins hohe Alter wider zu spiegeln, darf aber nicht mit der reinen Indikation zur Dekompression bei der degenerativen, lumbalen Spinalkanalstenose verwechselt werden (Krankenhaus-Report 2013). Verlässliche Daten zum natürlichen Verlauf existieren nicht. In einer Kohortenstudie von Johnsson [64] zeigte sich bei Patienten mit Claudicatio in durchschnittlich über 4-jährigem Follow-up, dass die Claudicatio bei allen Patienten persistierte, davon bei 70 % in unveränderter Intensität und bei je 15 % in verringerter oder gesteigerter Intensität.

Degeneration der Bandscheibe kann zur Protrusion führen und somit zur Einengung des Spinalkanals, der Recessus und der Neuroforamina von ventral. Die degenerativ bedingte Höhenminderung der Bandscheibe führt zur nachlassenden Spannung der straffenden Bänder des betroffenen Bewegungssegments (Ligamentum (Lig.). longitudinale anterior und posterior, Lig. flavum, Lig. inter- und supraspinale) – also zur Segmentinstabilität – und durch veränderte Kraftverhältnisse zur Fazettengelenksarthrose/-hypertrophie und ggf. zu zygapophysalen Gelenkszysten [59](siehe auch Kapitel Lumbales Facettensyndrom). Die Verdickung des Ligamentum flavum ist einerseits Folge der verminderten Bandspannung infolge der Bandscheibenhöhenminderung, andererseits scheint sie Folge von akkumuliertem mechanischem Stress zu sein, der über die vermehrte Ausschüttung von TGF-ß (transforming growth factor ß) aus Endothelzellen zur Fibrose der Lig. flava führt [65].

Neben den sich langsam entwickelnden degenerativen anatomischen Veränderungen besteht bei der Spinalkanalstenose auch eine dynamische Komponente: Der Durchmesser des Zentralkanals nimmt unter axialer Belastung und Extension weiter ab, axiale Distraktion und Flexion führen zur relativen Zunahme des Spinalkanaldurchmessers [66]. Gleiches gilt für die Weite der Foramina (Flexion: Zunahme des Foramendurchmessers um 12 %, Extension: Abnahme um 15 %).

Eine wichtige Hypothese zur Pathophysiologie der Claudicatio spinalis ist die Hypothese der venösen zwei Etagen Kompression (two-level venous compression hypothesis) [67]. Demnach ist entweder eine mehrsegmentale zentrale Spinalkanalstenose mit Kompromittierung der Cauda equina Gefäße oder die Kombination aus zentraler und foraminaler Stenose Voraussetzung für die Symptomentstehung. Vermutete Folgen dieser Kompression sind die direkte Durchblutungsobstruktion der Cauda equina, haltungsabhängige Druckveränderungen im Liquor und Knochen und die direkte Kompression der Nervenwurzeln. Ein Anstieg des intraspinalen und intraforaminalen Drucks beim Stehen und bei Extension konnte gemessen werden [65]. Zusätzlich konnte bei symptomatischen Patienten mit monosegmentaler zentraler Spinalkanalstenose ohne erkennbare foraminale Stenose auch ein erhöhter intraforaminaler Druck gemessen werden – anders als bei symptomatischen Patienten mit mehrsegmentaler Stenose. Dies legt nahe, dass die Hypothese der venösen zwei Etagen Kompression auch bei diesen Patienten zutrifft, zumal sie von einer reinen monosegmentalen Dekompression des Spinalkanals ohne Foraminotomie profitieren [68].

Hinweise zur Rolle lokaler Entzündungsmediatoren bei der degenerativen Spinalkanalstenose sind überschaubar. Höhere Konzentrationen von IL-1ß, nicht aber IL-6 oder TNF-, wurden bei Stenosepatienten im Vergleich zu Patienten mit Bandscheibenvorfall in Knorpel und Synovia der kleinen Wirbelgelenke gefunden [65].

Entfällt

Anamnese und klinische Untersuchung

Bei der Symptomatik eines Spinalkanalstenose muss prinzipiell zwischen der zentralen, lateralen (rezessalen) und foraminalen Spinalkanalstenose (SKS) unterschieden werden. Typischerweise verursacht die zentrale SKS den belastungsabhängigen (Gehen und Stehen) Rückenschmerz mit Beinausstrahlung ein-/oder beidseits. Die Beinbeschwerden werden in unterschiedlichem Ausmaß durch Hyp-/Parästhesien, Schwäche und Schweregefühl der Beine begleitet und führen zu einer reduzierten Gehstrecke. Anhaltende neurologische Ausfälle schwerer Art sind selten. Die klinische Symptomatik ist typischerweise beim Bergabgehen verstärkt, was durch die Lordosierung der LWS erklärt werden kann. Diese führt durch zusätzliche Einengung zu einer früheren Symptomatik. Im Umkehrschluss kann durch Entlordosierung zumindest bei nicht ausgeprägter Einengung eine Symptomerleichterung eintreten. Patienten erreichen diese Entlordosierung klassischerweise durch vorgeneigtes Gehen oder Sitzen mit vorgeneigtem Oberkörper. Längere Strecken werden daher häufig mit dem Fahrrad (in Flexion) absolviert, da es hier im Gegensatz zur vaskulären Claudicatio meist keine oder nur wenige Beschwerden gibt trotz ausgeprägter teils mehrstündiger Belastung. Das Stehen führt im Gegensatz zur Claudicatio intermittens zu keiner Erleichterung, da es beim längeren Stehen ebenfalls zu einer Lordosierung mit konsekutiven Beschwerden kommt. Dies kann auch bei der klinischen Untersuchung überprüft werden mit Schmerzzunahme bei Extension, bzw. Erleichterung bei Flexion. Neben der allgemeinen WS- und neurologischen Untersuchung sind spezifische Untersuchungsbefunde nicht bekannt. Weitere Tests wie Belastungstests z.B. auf dem Laufband oder Patientenfragebögen können bei der Diagnosestellung helfen, werden jedoch meist nicht routinemäßig eingesetzt. Typischerweise sind die Beschwerden in Ruhe nur gering oder nicht vorhanden. Im Einzelfall kann die Diagnose jedoch durch das stark wechselnde klinische Bild mit teilweise nur Rückenschmerzen, nur Schwäche, nur Hypästhesie und mannigfaltigen Mischformen erschwert sein. Diese Heterogenität tritt auch bei der lateralen und foraminalen SKS häufig auf, welche neben den eben erwähnten zentralen Symptomen auch zu verschiedensten uni- oder bilateralen Symptomen, radikulär aber auch pseudoradikulär führen kann. Teilweise kann sogar die typische Belastungsabhängigkeit nicht gegeben sein und nur Ruhebeschwerden.

Als Hauptmerkmale für die SKS zeigten sich in den Studien: – höheres Alter
– belastungsabhängige Beinbeschwerden
– Verschlechterung im Stehen und Gehen

– Symptomerleichterung beim flektieren bzw. Verschlechterung bei Extension

Auf Grund der Fülle an klinische Symptomen und Kombinationen kann die Diagnose jedoch nicht alleine klinisch gestellt werden.

Bildgebende Diagnostik

Neben der Anamnese und klinischen Untersuchung als ein Baustein, stellt die bildgebende Diagnostik eine weitere wichtige Säule dar. Historisch wurde zuerst die Myelographie, dann Myelographie mit post Myelo CT und dann das MRT eingeführt. Mittlerweile wird die MRT Untersuchung ohne Kontrastmittel (KM) als „gold standard“ angesehen, dies jedoch nicht unbedingt durch ihre höhere Aussagekraft, sondern vielmehr durch das bessere Risikoprofil durch Fehlen ionisierender Strahlung bzw. fehlender Invasivität. Dementsprechend können die anderen Verfahren bei Kontraindikationen zum MRT zum Einsatz kommen. Auch bei Notwendigkeit einer funktionellen Untersuchung kann bei Nichtvorhandensein eines Up Right MRT ́s eine Myelographie unter strenger Abwägung durchgeführt werden. Die Notwendigkeit einer funktionellen Untersuchung ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. Neben der klassischen quantitativen Einteilung der SKS als relativ oder absolut je nach Sagittaldurchmesser des Spinalkanales wurden viele quantitative Einteilungen sowohl mittels Streckenmessung als auch Flächenmessung eingeführt. Auf Grund von Messungenauigkeiten wurden auch qualitative bzw. deskriptive Einteilungen eingeführt. Allen gemeinsam ist bis heute eine fehlende klare Korrelation mit der klinischen Symptomatik, weshalb eine klare Empfehlung für eine Methode nicht gegeben werden kann. Um jedoch die kollegiale Kommunikation zu ermöglichen und den zeitlichen Verlauf abbilden zu können, erscheint es sinnvoll, eine gewisse Einteilung vorzunehmen, welche jedoch individuell ausgewählt werden muss. Konventionelles Röntgen hat nur eine begrenzte Aussagekraft bzgl. der Spinalkanalstenose, kann jedoch in bestimmten Fällen wertvoll sein, insbesondere wenn das Röntgen im Stehen durchgeführt wird. Hierdurch kann zum Beispiel eine sich im Liegen (wie beim MRT) spontan reponierende und damit „unsichtbare“ Spondylolisthese erkannt werden. Weiterhin tritt die SKS häufig sekundär im Rahmen von degenerativen Veränderungen auf und hier kann das Röntgen gerade als Belastungsaufnahme im Stehen als Übersichtsaufnahme wertvolle Informationen geben. Deshalb sollte eine konventionelle Röntgenaufnahme, vor allem beim Älteren, angedacht werden.

Empfehlung 2.11:

Auf Grund der Vielzahl an klinischen Symptomen und Differentialdiagnosen sollte beim V.a. eine Claudicatio spinalis eine MRT Diagnostik und ggf. Röntgen im Stehen und Funktionsaufnahmen durchgeführt werden.

100% Zustimmung (starker Konsens)

Elektrophysiologie

Obwohl es Studien gibt, welche dem paraspinalen Elektromyographie (EMG)-Mapping eine Diskriminierung zwischen SKS und Rückenschmerz zusprechen, ist die Methode nicht im allgemeinen klinischen Setting verankert. Andere elektrophysiologische Untersuchungen, wie peripheres EMG, SEP/MEP oder H-Reflex, scheinen eher geeignet andere Erkrankungen auszuschließen, nicht jedoch zur primären Diagnosestellung.

Differenzialdiagnose

Die klassische Differentialdiagnose (DD), insbesondere für die claudicativen Beschwerden, ist die vaskuläre Claudicatio (Claudicatio intermittens). Eine weitere vaskuläre DD wäre das Bauchaortenaneurysma (BAA). Auch neurologische Erkrankungen, wie Polyneuropathie (PNP) oder Multiple Skleorse (MS), können ähnliche Symptome auslösen, ebenso wie Myopathien. Raumfordernde intraspinale Ursachen wie Nucleus-pulposus-prolaps (NPP), Synovialzysten oder Tumor/Metastase sind ebenfalls zu bedenken. Degenerative Veränderungen, wie Synovialzysten oder NPP, können auch die bei lateraler oder neuroforaminaler SKS bedingten radikulären Symptome auslösen und kommen hier als DD in Betracht. In den selteneren Fällen, bei denen der Rückenschmerz als Symptom vorherrscht, kommen natürlich auch sämtliche weiteren degenerativen Veränderungen am Bewegungssegment, aber auch an benachbarten Strukturen wie SIG oder Hüfte in Betracht.

Die konservative Therapie stellt bei der Claudicatio spinalis die primäre Therapie der Wahl dar, dies auch vor dem Hintergrund das relevante neurologische Defizite, welche eine Indikation zu raschen operativen Maßnahmen darstellen, bei der Claudicatio selten sind und meist über einen längeren Zeitraum auftreten. Neben der Indikation zu operativen Maßnahmen im Rahmen relevanter neurologischer Defizite, besteht allerdings bei frustraner konservativer Therapie in Abhängigkeit des Leidensdruckes und der Einschränkung der ADL, welche bis zum Verlust der Selbstständigkeit führen können, eine relative Operations- Indikation.

1. Konservativ

Das klinische Bild des engen Spinalkanals ist gerade in den Anfangsstadien durch eindeutig haltungs- und bewegungsabhängige Beschwerden in den Beinen gekennzeichnet. Ca. 87 % der Patienten klagen außerdem über tiefliegende Kreuzschmerzen [69].

Medikamente

In einer Cochrane Analyse [70] wurden niedrige oder sehr niedrige Evidenzen gefunden für Behandlungen mit:

  • Calcitonin
  • Methylgabalin
  • Prostaglandin
  • Gabapentin

Epidurale Injektionen

Epidurale Injektionen scheinen insbesondere im kurzen Verlauf (2 Wochen-6 Monate) eine Verringerung der Beschwerden erreichen zu können. Allerdings ist das Evidenzniveau hier relativ niedrig. Ob durch wiederholte Injektionen bzw. den Zusatz von Steroiden eine Verlängerung der Wirkdauer erreicht werden kann, ist bei der aktuellen Datenlage nicht abschließend zu beantworten. Gleiches gilt für die Technik der Injektion (transforaminal/interlaminär bzw. anatomisch, Röntgen, CT gesteuert) [71, 72].

Anmerkung: Eine Vielzahl von Studien belegen, dass Placebobehandlungen Endorphinausschüttungen auslösen. Unter diesem Aspekt ist das in Studien häufig verwendete Kochsalz als „Placebo“ als eine Substanz mit psychisch positiver Wirkung anzusehen [73-77].

Physiotherapie

In 4 kleinen Studien, die alle eine Form von Übungen beinhalteten, wurde nicht das Ziel einer Verbesserung der Gehstrecke gemessen. Eine Studie berichtet, dass Übungen für den Beinschmerz besser seien als keine Behandlung und dass Laufband und Heimtrainerfahrrad ähnliche Ergebnisse bringen, insgesamt geringe Aussagekraft [78-81].

Bei Patienten, mit Haltungs- und Belastungs-abhängigen Beinschmerzen erscheint eine Physiotherapie sinnvoll und erfolgversprechend. Hierbei muss versucht werden, durch Aufrichtung des Beckens in eine Entlastungshaltung zu kommen, die der Patient bei Vorneigung und im Sitzen einnimmt, sog. entlordosierende Krankengymnastik. Speziell über Anleitung zum Dehnen der verkürzten Muskelgruppen Iliopsoas, Adduktoren, Rectus Femoris und der langen Rückenstrecker kann diese Entlordosierung erreicht werden.

Orthesen

Orthesen zur Aufrichtung und Entlordosierung sind erfolgversprechend, der Effekt jedoch nicht anhaltend [82-86].

Empfehlung 2.12:

Trotz der relativ geringen Evidenz eines Langzeiterfolges sowohl für medikamentöse Therapie, Physiotherapie, Orthesen und Injektionen sollte ein konservativer Therapieversuch bei fehlendem neurologischem Defizit oder immobilisierender Schmerzen unter begleitender Erfolgskontrolle zunächst versucht werden.

2. Operativ

Dekompression

Die facettengelenksschonende Dekompression ist die Methode der Wahl zur Beseitigung der spinalen Stenose. Es existieren 2 RCTs (randomized controlled trials) und mehrere komparative Studien, die die operative Dekompression mit der konservativen Therapie vergleichen [78, 87-90]. Beide Therapieansätze führen zu einer Symptombesserung, wobei die Operation der konservativen Therapie überlegen ist. Der Behandlungseffekt bleibt auch mittelfristig (> 8 Jahre) erhalten [91]. Die operative Dekompression ist auch bei multisegmentalen Stenosen effektiv [92].

Als Alternative zur Laminektomie stehen inzwischen die bilaterale Laminotomie und die unilaterale Laminotomie mit bilateraler Dekompression (i.e. Undercutting) als mittellinienstruktur-sparende Dekompressionsverfahren zur Verfügung. Diese scheinen der Laminektomie bzgl. Symptombesserung tendenziell überlegen zu sein und verringern das Risiko von postoperativen Rückenschmerzen und Instabilität [93, 94]. Die endoskopische Laminotomie stellt eine Alternative dar [95].

Allgemeine Kritik:

  1. Die RCTs zur operativen Behandlung der Spinalkanalstenose zeigen eine erhebliche Cross-overRate. Das lässt eine Interpretation der Ergebnisse auf Basis der Intention-to-treat Analyse nichtsinnvoll erscheinen, so dass auf die as-treated Analyse ausgewichen werden muss.
  2. Die konservative Therapie ist meist nur unscharf definiert.
  3. Bei allen größeren prospektiv randomisierten Studien ist das operative Verfahren dieLaminektomie – also die Dekompression einschließlich der Entfernung des Dornfortsatzes und der interspinösen Bänder.

Empfehlung 2.13:

Die operative Dekompression sollte erwogen werden, wenn konservative Maßnahmen nicht ausreichen, um eine für den individuellen Patienten zufriedenstellende Lebensqualität zu erzielen.

100 % Zustimmung (starker Konsens)

Dabei sollten mittellinienstruktur-sparende Verfahren der Laminektomie bevorzugt werden.

Ergänzende Stabilisierung

Die Pathogenese der Spinalkanalstenose beginnt mit einer Bandscheibendegeneration und – höhenminderung, die zu einer relativen Laxheit der das Bewegungssegment straffenden Bänder führt und somit zu einer zumindest subklinischen Instabilität. Daraus ergibt sich die potenzielle Notwendigkeit einer zusätzlichen Stabilisierung bei der operativen Behandlung der Spinalkanalstenose. Hierzu existieren mehrere RCTs, komparative Studien, retro- und prospektive Kohortenstudien sowie systematische Reviews und Metaanalysen [96-103].

Dabei profitieren Patienten nach reiner Dekompression und Patienten mit zusätzlicher Fusion in gleicher Weise bzgl. der Besserung der klinischen Beschwerden und der Lebensqualität [96-98, 103] mit einem Trend zum besseren Outcome nach zusätzlicher Fusion [103], aber auch einem Trend zur höheren Reoperationsrate und einem höheren intraoperativen Blutverlust und Operationsdauer [98]. Bei Vorliegen von degenerativer Instabilität zeigen die Patienten, die additiv stabilisiert worden sind, vergleichbare klinische Ergebnisse wie Patienten ohne Instabilität und reiner Dekompression [100] und signifikant bessere Ergebnisse als die Patienten, die nur dekomprimiert worden sind [102].

Multiple Stabilisierungs- und Fusionstechniken kommen in Frage, ohne dass eine der Techniken eindeutig präferiert werden kann (posterolaterale Fusion, PLIF, TLIF, ALIF, OLIF, XLIF (P= posterior, T= transforaminal, A= anterior, O= oblique, X= eXtreme, LIF=lumbar interbody fusion)) [101]. Der Stellenwert neuerer Non-Fusionstechniken (dynamische Stabilisierung) kann derzeit noch nicht eindeutig beurteilt werden [104-106].

Empfehlung 2.14:

Bei der operativen Behandlung der lumbalen Spinalkanalstenose sollte der routinemäßige Einsatz von Fusionstechniken zusätzlich zur Dekompression nicht erfolgen. Beim Vorliegen von klinischen und radiologischen Instabilitätszeichen sollte eine zusätzliche Stabilisierung erfolgen. Dabei kommt eine Vielzahl von chirurgischen Techniken in Frage.

100 % Zustimmung (starker Konsens)

 

Interspinöse Spreizer (interspinous process device=IPD)

Vermutetes Wirkprinzip der IPDs bei der operativen Behandlung der symptomatischen Spinalkanalstenose ist die indirekte Dekompression von Spinalkanal und Foramina durch Straffung der dorsalen hypertrophierten Bänder und des dorsalen Bandscheibenfaserrings. Dies wird durch das Fixieren des betroffenen Bewegungssegments in leichter Kyphose durch Aufspreizung des interspinösen Raums erreicht.

Bisher veröffentlicht sind zwei prospektive, randomisierte, kontrollierte Multicenterstudien bei milder bis moderater Claudicatio (RCTs), die die konservative Therapie mit der Implantation eines interspinösen Spreizers (x-stop) vergleichen [107, 108].
Es fand sich eine signifikante Besserung der Claudicatio (gemessen mit dem Zurich Claudication Questionnaire (ZCQ)) bis zwei Jahre nach Randomisierung und eine vergleichbare Rate sekundärer Operationen. Limitiert wird die Aussagekraft durch eine selektionsanfällige Blockrandomisierung, signifikant bessere Ergebnisse in einem Studienzentrum im Vergleich zu allen anderen und signifikant schlechtere klinische Ergebnisse in beiden Gruppen, als bei Studienplanung erwartet.

Im direkten Vergleich mit traditionellen Dekompressionstechniken (Laminektomie, Laminotomie, beidseitige Fensterung) zeigten IPDs vergleichbare Symptombesserungen (VAS, ODI, Roland Disability Questionaire) bis 1-2 Jahre nach Operation, aber mit einer signifikant erhöhten Reoperationsrate [109- 113]. Belastbare Langzeitergebnisse liegen nicht vor.

Die zeitlich recht eingeschränkte Wirkdauer der IPDs ist ein grundsätzlicher Nachteil dieser Methode. Bereits 6 Monate nach Implantation zeigt sich bei 50 % der Patienten ein Wiederauftreten bzw. Progress der ehemaligen Symptome [114].

Empfehlung 2.15:

Der Einsatz von interspinösen Spreizern zur operativen Behandlung einer konservativ therapierefraktären lumbalen Spinalkanalstenose sollte nicht routinemäßig erfolgen.

100 % Zustimmung (starker Konsens)

In Einzelfällen kann, bei hohem Narkoserisiko und hoher Stenose-bedingter Beschwerdelast, der Einsatz eines interspinösen Spreizers in Lokalanästhesie erwogen werden.

Es existiert keine allgemein akzeptierte Evidenz-basierte Vorgehensweise zur postoperativen Behandlung der lumbalen Spinalkanalstenose. Zur Frage der Wirkung aktiver Rehabilitation auf den funktionellen Status, den Rücken- und Beinschmerz und den allgemeinen Gesundheitsstatus wurden die Ergebnisse dreier RCTs (insgesamt 340 Patienten) in einem Cochrane Review bewertet [115]. Dabei fand sich 12 Monate postoperativ Folgendes: Rehabilitation ist effektiver als allgemeine funktionelle Maßnahmen – wie die Aufforderung aktiv zu bleiben und die körperliche Aktivität auszuführen, die den Patienten lieb ist – in Bezug auf den funktionellen Zustand, den Bein- und Rückenschmerz (jeweils Evidenz moderater Qualität). Keine Überlegenheit der Rehabilitation im Vergleich zu allgemeinen Maßnahmen fand sich bzgl. des allgemeinen Gesundheitszustands (Evidenz niedriger Qualität). Mannion et al. verglichen in einem RCT zwei verschiedene Formen der Physiotherapie, nämlich (1) Wirbelsäulen-stabilisierende Übungen und (2) „gemischte Techniken“, bei denen die Art der Übungen vom individuell tätigen Physiotherapeuten festgelegt wurde. Es fanden sich keine Unterschiede beider Techniken auf den funktionellen Zustand sowie Bein- und Rückenschmerz 2 Jahre nach Operation [116].

Empfehlung 2.16:

Die Durchführung postoperativer Physiotherapie verbessert den funktionellen Zustand des Patienten, sowie Bein- und Rückenschmerz und ist daher anzustreben. Keine Empfehlungen können in Bezug auf die einzelnen physiotherapeutischen Techniken gemacht werden.

100% Zustimmung (starker Konsens)

Copyright (©) – Mit Verweis auf Seite 19–27 – AWMF Registernummer: 033-051 Stand vom Dezember 2017