Rückenschmerzen ohne ausstrahlenden Schmerz in die Arme oder Beine sollte, wenn keine neurologischen Ausfälle vorliegen, zunächst medikamentös und physiotherapeutisch behandelt werden. Kommt es nach 4 -6 Wochen zu keiner Besserung ist der nächste Schritt die radiologische Abklärung mit Röntgen und MR und die gezielte Behandlung evt. auch mit gezielten Infiltrationen unter Röntgen oder CT- Kontrolle. Führt auch diese Therapie nach 12 Wochen zu keiner Besserung, ist, sofern der Befund die Beschwerden erklärt, die OP zu diskutieren. Man verhindert damit die Entwicklung der Folgeerscheinungen, wie Depressionen, Übergewicht infolge der verringerten Bewegung oder soziale Probleme.

2. Morphologische Entitäten

2.1.1 Synonyme (ICD-10)

M47.26  Chronisches lumbales Facettensyndrom, Degeneratives lumbales Facettensyndrom, Facettenreizung im LWS-Bereich Lumbales Facettensyndrom LWS-Facettenreizung

M47.27  Akutes lumbosakrales Facettensyndrom Chronisches Facettensyndrom L5/S1, Lumbosakrales Facettensyndrom, Lumbosakrales Facettensyndrom mit Blockierung

M47.29 Facettensyndrom

M47.87 Lumbosakrale Facettenarthrose

M47.99 Degeneratives Facettensyndrom

M54.5 Akute Lumbalgie mit Facettenreizung, Lumbalgie mit Facettenreizung

M47.86 Spondylarthrose der Lendenwirbelsäule, Spondylarthrose der LWS

M47.88 Spondylarthrose in der Sakralgegend

M47.99 Spondylarthrose Spondylarthrosis, Spondylarthrosis deformans

2.1.2 Definition

Das Facettensyndrom ist definiert als ein lokaler lumbaler Kreuzschmerz (mit möglicher pseudoradikulärer Ausstrahlung), welcher durch eine Erkrankung/ Veränderung der Wirbelgelenke (Spondylarthrose/ Spondylarthropathie) eines oder mehrerer Bewegungssegmente ausgelöst wird.

2.1.3 Epidemiologie

Trotz stark schwankender Angaben kann davon ausgegangen werden, dass die lumbalen Facettengelenke (bzw. ein Facettengelenks-Syndrom) in 10-41 % primär ursächlich für chronische Kreuzschmerzen sind [11, 12].

2.1.4 Pathogenese

Die Ursachen des Facettensyndroms werden kontrovers diskutiert. Bekannt ist, dass die Kapseln der Facettengelenke dicht mit freien Nervenendigungen und mit Mechanorezeptoren besetzt sind [11].
Eine Fehlbelastung der Facettengelenke u.a. bedingt durch eine lumbale Hyperlordose und insuffiziente muskuläre Stabilisierung kann primär ursächlich für ein Facettensyndrom sein [13, 14]. Diese Fehlbelastung kann jedoch auch degenerative Veränderungen der Facettengelenke forcieren. Degenerative Veränderung des Facettengelenkes werden als eine häufige Ursache für ein Facettensyndrom angesehen [11, 12]. Diese kann isoliert auftreten, u.a. bei vermehrter mechanischer Belastung oder im Zusammenhang mit einer Bandscheibendegeneration. Bei einer Erniedrigung der

Bandscheibe kann sich durch die dadurch vermehrte mechanische Belastung der Wirbelgelenke eine Spondylarthrose entwickeln. Neben einem klinischen Facettensyndrom kann diese zu einer Facettenhypertrophie führen mit daraus resultierender Einengung des Wirbelkanals und des Recessus. Dies kann wiederum Ursache für eine Nervenwurzelirritation sein.

Neben der degenerativ/ mechanisch bedingten Spondylarthrose gibt es viele weitere Ursachen für Veränderungen der Facettengelenke und dadurch bedingte Schmerzen. Diese beinhalten entzündliche Arthritiden (wie zum Beispiel rheumatoide Arthritis, Morbus (M.) Bechterew oder reaktive Arthritis), synoviales Impingement, synoviale Entzündungen, Synovialzyste, Chondromalazie der Facettengelenke, akute und chronische Infektion sowie Traumen [11, 12].

2.1.5 Klinik

Bei einem lumbalen Facettensyndrom treten vor allem nach längerem Stehen oder Gehen tiefsitzende Kreuzschmerzen auf, welche sich häufig in Anteflexion bessern. Der Schmerz kann bei einer Beteiligung der oberen lumbalen Facettengelenke in den Bereich der Leiste, Hüfte oder lateralen Oberschenkel (Pseudoradikulärsyndrom) ausstrahlen [11]. Bei einer Beteiligung der unteren lumbalen Facettengelenke ist eine Schmerzausstrahlung bis in die laterale Wade möglich. Experimentell gelang der Nachweis dieses Zusammenhangs durch arthrographie-kontrollierte Facetteninjektionen, mittels derer derartige Schmerzsyndrome ausgelöst werden konnten [11].

Eine Facettenhypertrophie mit resultierender Spinalkanal- oder Recessusstenose und eine Synovialzyste können zu einer Nervenwurzelirritation oder -kompression führen.

2.1.6 Diagnose

Anamnestische Angaben wie morgendlicher Anlaufschmerz, statisch bedingter Kreuzschmerz, Retroflexionsschmerz, Umlagerungsschmerz (beim Umdrehen im Bett), Steifheitsgefühl und Durchbrechgefühl sind Hinweise für eine Nozizeption aus den Facettengelenken [11, 12].
In der klinischen Untersuchung ist eine Schmerzauslösung durch Retroflexion, Seitneige und Rotation sowie durch Druck auf die Facettengelenke des in Bauchlage befindlichen Patienten (Facettenfederungsschmerz) richtungsweisend [11, 12].

In Ergänzung zur Anamnese und klinischen Untersuchung wird in der klinischen Praxis generell akzeptiert, dass diagnostische Facettenblockaden eine zuverlässige bzw. die zuverlässigste Methode zum Nachweis eines Facettensyndroms sind [15-18].

Empfehlung 2.1:

Diagnostische Facettenblockaden sollten bei Patienten mit vermutetem Facettensyndrom erwogen werden.

91 % Zustimmung (Konsens)

Bei korrekter technischer Anwendung haben die intraartikuläre Injektion und die Blockade der medialen Äste beim Nachweis eines Facettensyndroms die gleiche Wertigkeit [15, 17].
Die primäre bildgebende Diagnostik umfasst die Röntgenaufnahmen des Wirbelsäulenabschnitts in zwei Ebenen. MRT und Computertomographie sind ebenfalls geeignet um Veränderungen der Wirbelgelenke nachzuweisen.

2.1.7 Therapie

Symptomatische Therapie

Medikamentöse Schmerzlinderung mit z.B. nicht-steroidale Antiphlogistika oder Muskelrelaxantien, entlastende Lagerung (Entlordosierung bei Befall der Lendenwirbelsäule), Infiltrationen mit einem Lokalanästhetikum mit oder ohne Kortison (Bemerkung: i. V. zur intraartikulären Infiltration scheint die Blockade der medialen Äste effektiver zu sein [17]), Ergotherapie, Physiotherapie und/ oder Manuelle Therapie (Faszienrelease, Triggerpunkt-Behandlung).

Ursächliche Therapie

Nach Abklingen des akuten Krankheitsbilds steht die muskuläre Stabilisation des Wirbelsäulenabschnitts im Vordergrund. Bei Befall der Lendenwirbelsäule kann die Entlordosierung durch Übungen zur Beckenkippung ergänzt werden.

Percutane Neurotomie

Die Behandlung mit Thermokoagulation bzw. Radiofrequenztherapie, Kryosonden und YAG-Laser haben zum Ziel das betreffende Wirbelgelenk zu denervieren um eine längerfristige Schmerzfreiheit zu erzielen. Wissenschaftlich am besten untersucht bzw. belegt ist der teilweise bis über ein Jahr anhaltende positive Effekt der Thermokoagulation bzw. Radiofrequenztherapie [15-17].

Cave: Bei der Denervierung wird die Funktion der Rami dorsales, welche gleichzeitig die segmentalen Musculus (Mm.) multifidi innervieren, beeinträchtigt [19].

Empfehlung 2.2:

Die perkutane Neurotomie (z.B. mittels Radiofrequenztherapie) kann bei Patienten mit einem persistierenden Facettensyndrom erwogen werden.

100 % Zustimmung (starker Konsens)

Operative Therapie

Wenn die Beschwerden trotz einer suffizienten konservativen Therapie anhalten, ist die Indikation zur operativen Therapie zu überprüfen [20]. Hierzu stehen verschiedene Techniken zur Verfügung. Welches Verfahren sinnvoll ist, muss individuell entschieden werden und ist Gegenstand der aktuellen Diskussion [20].

Empfehlung 2.3:

Ist die Symptomatik konservativ oder interventionell Therapie refraktär so kann die Indikation zur Operation erwogen werden.

92 % Zustimmung (Konsens)

2.2.1 Synonyme (ICD-10)

M47.26 Chronisch-degeneratives Lumbalsyndrom Degeneratives Lumbalsyndrom

M54.16 Akutes Lumbalsyndrom Chronisch-rezidivierendes Lumbalsyndrom

Chronisches Lumbalsyndrom
Chronisches pseudoradikuläres Lumbalsyndrom Pseudoradikuläres Lumbalsyndrom

M42.16  Osteochondrose der Wirbelsäule beim Erwachsenen: Lumbalbereich

M42.17  Osteochondrose der Wirbelsäule beim Erwachsenen: Lumbosakralbereich

M42.18  Osteoch. der Wirbelsäule beim Erwachsenen: Sakral- und Sakrokokzygealbereich

M42.19  Osteoch. der Wirbelsäule beim Erwachsenen: Nicht näher bezeichnete Lokalisation

Osteochondrose der Wirbelsäule beim Erwachsenen

M42.90 Osteoch. der Wirbelsäule, nicht näher bezeichnet: Mehrere Lokalisationen der WS

M42.96  Osteochondrose der Wirbelsäule, nicht näher bezeichnet: Lumbalbereich

Ausgeprägte Osteochondrose der Lendenwirbelsäule Massive Osteochondrose der Lendenwirbelsäule Osteochondrose der Lendenwirbelsäule Osteochondrose der LWS

Schwere Osteochondrose der LWS

M42.97  Osteochondrose der Wirbelsäule, nicht näher bezeichnet: Lumbosakralbereich

Ausgeprägte Osteochondrose der Lenden- und Sakralwirbelsäule Lumbosakrale Osteochondrose mit Retrolisthese Osteochondrose der Lenden- und Sakralwirbelsäule

M42.98  Osteoch. der Wirbelsäule, nicht näher bezeichnet: Sakral- und Sakrokokzygealbereich

M42.99  Osteoch. der Wirbels., nicht näher bezeichnet: Nicht näher bezeichnete Lokalisation

Ausgeprägte Osteochondrose der Wirbelsäule mit Foraminaeinengungen Massive Osteochondrose der Wirbelsäule

2.2.2 Definition

Das discogene Lumbalsyndrom ist definiert als ein lokaler lumbaler Kreuzschmerz (mit möglicher pseudoradikulärer Ausstrahlung), welcher durch eine Degeneration/ Veränderung der Bandscheibe eines oder mehrerer Bewegungssegmente ausgelöst wird. Treten in den angrenzenden Wirbelkörpern strukturelle Veränderungen auf, spricht man von einer Osteochondrosis (inter)vertebralis.

2.2.3 Epidemiolgie

Die Prävalenz des discogenen Lumbalsyndroms bei Patienten mit chronischen Lumbalgien ohne radikuläre Symptome wird mit 26 % bis 39 % angegeben [21, 22].

2.2.4 Pathogenese

Bandscheibendegenerationen treten beim Menschen regelmäßig im Alter auf und werden als der Beginn einer Kaskade von degenerativen Wirbelsäulenveränderungen angesehen [23, 24]. Im Rahmen der Bandscheibendegeneration bilden sich Fissuren und Rissen im Annulus und es kommt zu einer Bandscheibenverschmälerung. Zeigen die angrenzenden Wirbelkörper auch degenerative Veränderungen (z.B. Knochenmarksveränderungen angrenzend an die Deck- und Bodenplatten) spricht man von einer Osteochondrosis (inter)vertebralis. Aufgrund der veränderten mechanischen Belastung kann es auch zur Bildung von Spondylophyten und einer Spondylarthrose kommen.

Zunehmendes Alter und Übergewicht [25], genetische Faktoren [26] sowie mechanisch „unphysiologische“ Belastungen vor allem bei insuffizienter Rumpfmuskulatur können das Auftreten der Degeneration beschleunigen. Als eine weitere Ursache wird eine bakterielle Infektion mit schwach virulenten Organismen diskutiert [27-29].

In mehreren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass eine Bandscheibe in der Lage ist, ohne Kompression neurogener Strukturen selbst Schmerzen auszulösen [12, 23, 30].
Bei gesunden Bandscheiben wird die äußere Schicht des Annulus von Nervenfasern innerviert. Bei degenerativ veränderten Bandscheiben konnte eine flächigere teilweise bis in den Nukleus reichende nervale Innervation nachgewiesen werden. Ebenso konnten vielfältige chemische Veränderungen, u.a. die Freisetzung von inflammatorischen Substanzen, beim Prozess der Bandscheibendegeneration nachgewiesen werden [12, 23, 30].

2.2.5 Klinik

Bei einem discogenen Lumbalsyndrom treten vor allem belastungsabhängige Kreuzschmerzen mit teilweise pseudoradikulärer Ausstrahlung auf [12, 23]. Ein radikulärer Schmerz, vor allem bei gleichzeitig vorliegendem neurologischen Defizit, spricht für eine Nervenwurzelkompression und gegen ein rein discogenes Lumbalsyndrom.

2.2.6 Diagnose

Die Anamnese und klinische Untersuchung allein sind nicht ausreichend für den Nachweis eines discogenen Lumbalsyndroms bzw. dafür, dass die Bandscheibe und die Veränderung in den angrenzenden Wirbelkörpern die primären Ursachen des Rückenschmerzes sind.
In der MRT können Aussagen zur Bandscheibendegeneration gemacht werden, jedoch ist es schwierig zu beurteilen, ob eine Bandscheibendegeneration mit der Klinik in Zusammenhang steht [31-33]. Es wird diskutiert, dass die Bandscheibe die wahrscheinliche Ursache eines discogenen Rückenschmerzes ist, wenn sich bei Patienten mit Kreuzschmerzen im MRT höhergradige Bandscheibendegenerationen, ödematöse Veränderung der Endplatten im Sinne von Modic I Veränderungen oder/ und eine “High Intensity“ Zone im hinteren Annulus im Bereich des Schmerzfokus zeigen [23, 31].

Empfehlung 2.4:

Bei V.a. ein discogenes Lumbalsyndrom sollte eine MRT durchgeführt werden, die primäre Durchführung einer CT empfiehlt sich nicht.

83 % Zustimmung (Konsens)

In verschiedenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die lumbale Schmerzprovokations- Discographie bei korrekter Anwendung die Identifizierung einer schmerzhaften Bandscheibe ermöglichen kann [34-36]. Die Anwendung wird jedoch sehr kritisch gesehen, da nachgewiesen werden konnte, dass die Discographie zu einer beschleunigten Bandscheibendegeneration führt [34, 37].

Empfehlung 2.5:

Zum Nachweis eines discogenen Lumbalsyndroms sollte die lumbale Discographie nicht durchgeführt werden.

2.2.7 Therapie

Konservativ

Neben der initialen physikalischen und medikamentösen Therapie kommt – im Sinne der Prophylaxe – der Gewichtreduktion und der aktiven Stabilisierung der betroffenen Region u.a. durch Auftrainieren der Rumpf-Muskulatur eine wichtige Bedeutung zu [38].

Interventionell

Verschiedene interventionelle Verfahren, u.a. epidurale oder intradiscale Injektionen sowie perkutane Nukleoplastie Verfahren, sind in der Literatur beschrieben worden und sind möglicher Bestandteil der Therapie. Unklar bleibt ob neben einem möglichen kurzfristigen Effekt auch ein langfristiger positiver Effekt erzielt werden kann [17, 18, 39-43].

Operativ

Wenn die Beschwerden trotz einer suffizienten konservativen Therapie anhalten, ist die Indikation zur operativen Therapie zu überprüfen [20, 44]. Hierzu stehen verschiedene Techniken zur Verfügung. Welches Verfahren sinnvoll ist, muss individuell entschieden werden und ist Gegenstand der aktuellen Diskussion [20, 45].

Empfehlung 2.6:

Ist die Symptomatik konservativ therapierefraktär, so kann die Indikation zur Operation erwogen werden.

100 % Zustimmung (starker Konsens)

Empfehlung 2.7:

Intrasdiscale Verfahren sollten nicht zur Anwendung kommen.
75 % Zustimmung (Konsens)

Bestehende Leitlinien/Guidelines

Leitlinie „Axiale Spondyloarthritis inklusive M. Bechterew und Frühformen“ des DGRh (060/003), 2013

2.3.1 Synonyme (ICD10)

früher: seronegative Spondylarthropathien; inkludiert ankylosierende Spondyltis (Spondylitis ankylosans)

ICD-10 M45.0

Die axiale Spondyloarthritis wird in der AWMF-Leitlinie (Register Nummer: 060/003, Entwicklungsstufe: S3, Version: November 2013) „Axiale Spondyloarthritis inklusive M. Bechterew und Frühformen“ umfassend abgehandelt.
Deshalb wird in dieser Leitlinie auf diese komplexe Entität nur zusammenfassend eingegangen. Die Kenntnis der Erkrankung ist relevant, da etwa 5 % der Patienten mit chronischen Rückenschmerzen an einer axialen Spondyloarthritis leiden, und sehr effektive, spezifische Therapien zur Verfügung stehen.

2.3.2 Definition

Unter der Bezeichnung Spondylarthritiden (SpA) wird eine Gruppe von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises zusammengefasst, bei denen Entzündungen im Bereich der Wirbelsäule insbesondere der Sakroiliakalgelenke (SIG, Sakroiliitis), der Wirbelkörper (Spondylitis), der kleinen Wirbelgelenke (Spondylarthritis) und der Sehnenansätze (Enthesitis) vorliegen. Es besteht eine starke Assoziation mit dem genetischen Marker HLA-B27 [46, 47].

Terminologie

Ist das Achsenskelett (Sakroiliitis, Spondylitis) mit oder ohne periphere Beteiligung (periphere Arthritis, Enthesitis) betroffen, spricht man von „axialer SpA“, liegt eine periphere Arthritis und/ oder periphere Enthesitis ohne Befall des Achsenskeletts vor, von „peripherer SpA“. Eine axiale SpA mit Sakroiliitis im Röntgenbild ist synonym mit der ankylosierenden Spondylitis (M. Bechterew) und wird auch als röntgenologische axiale SpA (r-axSpA) bezeichent, die axiale SpA ohne eindeutige Sakroiliitis im Röntgenbild wird als nicht-röntgenologische axiale SpA (nr-axSpA) bezeichnet.

2.3.3 Epidemiologie

Die Prävalenz der Gesamtgruppe der Spondylarthritiden wird in der Literatur mit 0,4 % bis 2,0 % weltweit sehr unterschiedlich angegeben. Die axiale SpA einschließlich der ankylosierenden Spondylitis (AS)(M. Bechterew) ist die häufigste Form. In Deutschland liegt die Prävalenz der AS wahrscheinlich zwischen 0,3 bis 0,5 % [46]. Es besteht eine hohe Assoziation des genetischen Merkmals HLA-B27 mit der axialen SpA (ca. 80 %) im Vergleich zur Normalbevölkerung (5-9 %), was die diagnostische Wertigkeit begründet. Andererseits reicht ein positives HLA-B27 allein zur Diagnosestellung einer axialen SpA nicht aus, da nur etwa 5 % der HLA-B27 positiven Menschen (Genträger) an einer SpA erkranken [48].

Etwa 5 % aller Menschen mit chronischen (>3 Monate) tiefsitzenden Rückenschmerzen und Beginn vor dem 45. Lj. haben eine axiale Spondyloarthritis. Ist bei diesen Patienten HLA-B27 positiv, beträgt die Wahrscheinlichkeit bereits 30 %, ist das Symptom „entzündlicher Rückenschmerz“ (siehe unten) vorhanden, beträgt die Wahrscheinlichkeit 15-20 % [48].

2.3.4 Pathogenese

Durch eine immunmediierte Entzündung von fibrocartilaginären Übergangszonen entsteht das klinische Bild einer entzündlichen Wirbelsäulenerkrankung mit Sakroiliitis, Spondylitis (anterior/ posterior), Enthesitis und einer überwiegend die unteren Extremitäten bevorzugende Mono- bis Oligoarthritis, die oft asymmetrisch ist. In bis zu 40 % der Patienten treten extraskeletale Manifestationen u.a. am Auge (Uveitis), an Haut (Psoriasis) und Schleimhäuten und gastrointestinal (M. Crohn, Colitis ulcerosa) auf.

2.3.5 Klinik

Charakteristisch sind tiefsitzender Kreuzschmerz bei jungen Erwachsenen (Schmerzbeginn bei 80 % der Patienten zwischen dem 20. und 30. LJ, erste Symptome nach dem 45. LJ sind sehr selten!) und Einschränkung der Wirbelsäulenbeweglichkeit der Lendenwirbelsäule, letztere manifestiert sich oft jedoch erst im längeren Verlauf. Die Kreuzschmerzen bei axialer SpA werden auch als „entzündlicher Rückenschmerz“ bezeichnet und haben folgende Charakteristik:

  • meist entwickeln sie sich langsam
  • Morgensteifigkeit im unteren Rücken/ Kreuz von mind. 30 Minuten
  • frühmorgendlicher Schmerz/ nächtliches Erwachen
  • Besserung durch Bewegung
  • Keine Besserung durch Ruhe
  • wechselseitiger Gesäßschmerz

Periphere Arthritiden und Enthesitiden kommen vor. Eine typische extra-skelettale Manifestation ist die Uveitis anterior, assoziierte Erkrankungen sind die Psoriasis und die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.

Empfehlung 2.8:

Bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz und Beginn vor dem 45. LJ sollte das Symptom „entzündlicher Rückenschmerz“ anamnestisch eruiert werden.

100% Zustimmung (starker Konsens)

2.3.6 Diagnostik

Neben Anamnese (entzündlicher Rückenschmerz, Uveitis, familiäre Belastung, frühere Arthritis, Fersenschmerz, Psoriasis, M. Crohn), Untersuchung und Bildgebung (MRT: Sakroiliitis) spielen die Laborparameter (insbesondere HLA-B27) eine wichtige Rolle. Obwohl es sich um eine entzündlich rheumatische Erkrankung handelt, sind die Entzündungsparameter (C-reaktives Protein (CRP), BlutkörperchenSenkungsGeschwindigkeit (BSG)) nur in 40-50 % erhöht. Die Sakroiliitis kann im Röntgenbild oder besser noch in der MRT dargestellt werden.

Bei Verdacht auf eine axiale SpA aufgrund von chronischem Rückenschmerz bei jungen Erwachsenen und dem Symptom „entzündlicher Rückenschmerz“ oder „Positivität von HLA-B27“ bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz (Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer axialen SpA 25-30 %) ist die Überweisung zum Rheumatologen zur weiteren Diagnostik und Therapie zu empfehlen [48]. Bei der bildgebenden Diagnostik (MRT, Röntgen) ist darauf zu achten, dass die Sakroiliakalgelenke abgebildet sind, da zu Beginn oft nur hier und nicht an der LWS/ BWS eine Entzündung erkennbar ist [46].

Die ASAS (Assessment of SpondylArthritis international Society) – Klassifikationskriterien sind keine diagnostischen Kriterien, sondern dienen der Durchführung klinischer Studien [46, 49].

Empfehlung 2.9:

Patienten mit chronischem Rückenschmerz mit Beginn vor dem 45. LJ und dem Symptom „entzündlicher Rückenschmerz“ oder einem positiven HLA-B27 Test sollten mit Verdacht auf axiale SpA rheumatologisch vorgestellt werden.

100% Zustimmung (starker Konsens)

2.3.7 Therapie

Die axiale SpA bedarf in besonderem Maße eines interprofessionalen Behandlungskonzeptes. Dies umfasst neben Schulungsmaßnahmen/Edukation die Kombination von nicht pharmakologischen (physikalische Therapie sowie sportliche Aktivitäten als auch Eigengymnastik, Selbstmanagment- Methoden) und pharmakologischen Maßnahmen. Mit nicht-steroidalen Antirheumatika und Biologika (Tumor-Nekrose-Faktor (TNF)-Inhibitoren, Interleukin (IL)-17 Inhibitoren) stehen hocheffektive medikamentöse Therapien zur Verfügung. Im Laufe der Erkrankung können invasive Maßnahmen wie Injektionen oder eine Operation notwendig sein [46, 50].

2.4.1 Synonyme (ICD-10)

Baastrup Syndrom; M48.2 kissing spine disease;

2.4.2 Definition

Das nach Christian Ingerslev Baastrup (1933) benannte Baastrup-Syndrom ist eine Bezeichnung für Rückenschmerzen infolge sich berührender Dornfortsätze (Baastrup Phänomen) und einer dadurch hervorgerufenen Irritation von Periost und umgebenden Weichteilen.

2.4.3 Epidemiologie

In einer retrospektiven Untersuchung an 1008 CT-Untersuchungen Abdomen/ Becken zeigte sich ein Baastrup-Phänomen bei 41,0 % der CT-Untersuchungen mit einem Gipfel von 81,3 % in der Altersgruppe der Patienten über 80 Jahre [51]. Die klinische Bedeutung des Baastrup Phänomens ist nicht geklärt [51]. Gezielte Applikationen von Lokalanästhetika deuten darauf hin, dass die sich berührenden Dornfortsätze als Schmerzgenerator wirken können [52-54]. Mit modernen bildgebenden Verfahren (MRT) zeigte sich bei 8.2 % eine interspinöse Bursitis [55], die hoch signifikant mit dem Alter und einem Baastrup- Phänomen sowie verschiedenen degenerativen Veränderungen assoziiert war. Die Veränderungen traten bevorzugt im Segment L4-L5 auf [55]. Interspinöse Bursitiden konnten bei einem Baastrup-Phänomen auch klinisch und histologisch bei Untersuchungen an Präparaten der Lendenwirbelsäule nachgewiesen werden [56]. Ein Klassifikationsverfahren zur Einteilung degenerativer Veränderungen des interspinösen Ligamentes wurde entwickelt. Das Phänomen dürfte keine eigene Krankheitsentität sein sondern ist häufig mit anderen Pathologien der Lendenwirbelsäule vergesellschaftet [57].

2.4.4 Pathogenese

Ein Kontakt der lumbalen Dornfortsätze führt zur mechanischen Alteration einhergehend mit Hypertrophie, Verplumpung und Sklerosierung der angrenzenden Kontaktflächen der Dornfortsätze und Irritation der lokalen Strukturen. Ursächlich wird für die Annäherung der Dornfortsätze die allgemeine Degeneration der Wirbelsäule und ein damit verbundener Höhenverlust des Segmentes gesehen. Diskutiert wird allerdings auch eine Hypertrophie der Dornfortsätze infolge starker körperlicher Arbeit.

2.4.5 Klinik

Entfällt

2.4.6 Diagnose

Diagnostik eines klinisch relevanten M. Baastrup nach DePalma [58]:

–  Schmerzen in der Mittellinie mit oder ohne paravertebrale Schmerzen

–  Schmerzen interspinös im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Verstärkung bei Lordose und

Besserung bei Kyphosierung

–  Schmerzverstärkung beim Stehen oder Gehen

–  In der Regel keine Schmerzausstrahlung in die unteren Extremitäten

–  Ausschluss Facettensyndrom und SIG-Syndrom

–  Nachweis eines Baastrup-Phänomens in der Bildgebung

–  Besserung auf interspinöse Injektion von Lokalanästhetika.

Sofern diese Kriterien nicht erfüllt sind handelt es sich bei der Diagnose um eine morphologische Beschreibung der Bildgebung ohne klinischen Krankheitswert.

2.4.7 Therapie

Wissenschaftlich gesicherte Therapieverfahren im Sinne von validen Studien existieren nicht.

Empfehlung 2.10:

Nicht-operativ symptomatische medikamentöse und physikalisch-therapeutische Verfahren und die lokale interspinöse Injektion von Lokalanästhetika mit Kortison können angewendet werden.

100% Zustimmung (starker Konsens)

Operativ ist neben der Behandlung der zugrundeliegenden degenerativen Erkrankung die Verkleinerung der Dornfortsätze mit fraglichem Erfolg beschrieben.

Copyright (©) – Mit Verweis auf Seite 8-18 – AWMF Registernummer: 033-051 Stand vom Dezember 2017