Bewegungserhaltende Stabilisierungen

Die Fusion, also die knöcherne Versteifung von Wirbelsegmenten, stellt bis heute den Standard stabilisierender Wirbelsäulenoperationen dar. Im Vergleich zu Operationen an den großen Gelenken wie Hüfte oder Knie würde das einer „Arthrodese“, also einer Gelenksversteifung, die heute kaum mehr durchgeführt wird, entsprechen. Natürlich zeigt die Versteifung von einem oder zwei Wirbelsegmenten keine so dramatische Beeinflussung der Funktion und Lebensqualität nach Versteifung eines großen Gelenks, es gibt aber doch Probleme durch erhöhte Belastung der benachbarten Bandscheiben und Wirbelgelenke, die eine frühzeitige Abnutzung dieser Nachbarsegmente (sogenannte Anschlussdegeneration) verursachen können.

Aus diesem Grunde suchte man auch in der Wirbelsäulenchirurgie nach Möglichkeiten einer bewegungserhaltenden Stabilisierung von Abnutzungserkrankungen. In den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts wurde in der damaligen DDR an der berühmten Berliner Universitätsklinik „Charité“ erstmals eine künstliche Lendenbandscheibe eingesetzt. Technisch verbesserte Bandscheibenprothesen führten etwa 20 Jahre später zu einem echten „Boom“ in der Wirbelsäulenchirurgie, der Einsatz wurde auch auf Halsbandscheiben ausgeweitet.

Dieser Boom hat sich im Bereich der Lendenwirbelsäule deutlich reduziert. Gründe dafür sind der aufwendige Zugang von vorne, wobei die gesamte Bandscheibenbreite chirurgisch freigelegt werden muss. Im Bereich der Lendenbandscheiben liegen aber die großen Gefäße (Bauchschlagader und große Hohlvene bis zum Übergang 3./4. Lendenwirbel, die entsprechenden Arterien und Venen zum Becken und zu den Beinen darunter) direkt davor. Während die Implantation mit Unterstützung des Zuganges  durch geübte Gefäßchirurgen kein größeres Problem darstellt, kann der neuerliche Zugang zu einer durch Infektion oder (Sub)-Luxation erforderliche Entfernung der Prothese durch Vernarbung auch für Gefäßchirurgen schwierig sein.

Dennoch sind die bisherigen Erfahrungen mit Bandscheibenprothesen sowohl im Lenden- als auch im Halsbereich durchaus positiv. Speziell im Bereich der Halswirbelsäule, wo der Zugang zur Versteifung und künstlichen Bandscheibe der gleiche ist, hat sich diese Technik speziell bei jüngeren PatientInnen durchgesetzt.

Künstliche Bandscheiben sind angezeigt, wenn eine schmerzhafte Abnützung, im Halsbereich auch Bandscheibenvorfall ohne wesentliche Abnutzung der Wirbelgelenke vorliegt, und wenn kein Wirbelgleiten oder eine seitliche  Abweichung der Wirbelsäule („Skoliose“) besteht.

Umgekehrt wurde erstmals in den Neunzigerjahren die bewegungserhaltende Stabilisierung vom hinteren Zugang propagiert. Statt einer rigiden Versteifung mit Metallstäben erfolgte dabei eine durch Bogenwurzel-(=Pedikel) schrauben verbundene „dynamische“ Stabilisierung, wobei statt der Metallstäbe bewegliche Kunststoffimplantate eingesetzt wurden („Dynesys“-System). Leider zeigte sich dabei nur eine sehr minimale Mobilität, die zwar die dynamisch instrumentierte Bandscheibe vor weiterer Abnützung schützte, nicht aber das darüber- oder daruntergelegene Segment vor einer Anschlussdegeneration. Das sogenannte „Topping-off“, die dynamische Stabilisierung eines gesunden Anschlusssegmentes, sollte überhaupt in allen Fällen vermieden werden!

Einen neuen Zugang zur hinteren dynamischen Stabilisierung stellt das „TOPS“-System dar. Dabei erfolgt zunächst eine komplette Freilegung des meist eingeengten Wirbelkanals mit Entfernung der Wirbelgelenke; das ebenfalls über Pedikelschrauben arbeitende Implantat ermöglicht aber durch die Gelenksentfernung und den künstlichen „Gelenks“-einbau eine völlig eigene Mobilität, die etwa der Beweglichkeit eines gesunden Wirbelsegments entspricht.

Die Anzeige zum Einsatz dieses Segments ist bei Wirbelkanalengen mit geringem degenerativen Wirbelgleiten und relativ unauffälliger Bandscheibe gegeben. Unsere Ergebnisse zeigen ein durchschnittlich im normalen Bewegungsumfang erhaltendes Segment.

Ob diese Neuerung auch Anschlussdegenerationen verhindern oder zumindest limitieren kann, ist derzeit noch nicht sicher beurteilbar. Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Forschung und der Einsatz bewegungserhaltender Techniken an der Wirbelsäule längst nicht abgeschlossen und weitere Erfahrungen notwendig sind!

(c) Werner Lack. Die Texte, Bilder und Daten sind Eigentum der Österreichischen Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie. Alle Rechte vorbehalten.